aus: Albert Coers, Alex de Vries (Hrsg.): Faktor X - Das Chromosom der Kunst. Berlin 2017, S. 49-52 (engl. S. 53-57).
Wer sich erst einmal auf den Gedanken einlässt, dass es sich bei Bildern um Wesen, ausgestattet mit einem dem Menschen ähnlichen Fühlen und Wollen, handele, dürfte nur schwer der Versuchung widerstehen können, sich zu überlegen, welches Geschlecht Bilder denn eigentlich besitzen. Freilich könnte ein solches Bildverständnis auch darauf verweisen, dass Geschlechtlichkeit alles andere als zentral für das Aufspüren einer Wesenhaftigkeit ist, was folgerichtig zu dem Versuch führen müsste, dem Wesen von Bildern jenseits geschlechtlicher Zuschreibungen nachzugehen. Allerdings trifft in diesem Fall die graue Erkenntnistheorie auf die akademische Praxis der Bildtheorie, in der insbesondere von Mitte der 1990er bis hinein in die frühen 2000er Jahre versucht worden ist, die besondere Kraft der Bilder – ihr emergentes Potenzial – begrifflich zu fassen. Und gerade weil diese Kraft gegenüber vielen anderen Kräften, vor allem der Kraft der Sprache, als überlegen charakterisiert wurde, verhakte sich die Frage nach der Geschlechtlichkeit wesenhafter Bilder in den theoretischen Überlegungen besonders hartnäckig.
Das Grundargument blieb dabei stets das gleiche: Bilder strebten nach Macht, Dominanz und Einfluss, da sie ihrer Struktur nach schwach, defizitär und – aufgrund ihrer semantischen Offenheit – ontologisch zweitrangig seien, folglich also alle Energien darauf verwenden müssten, ihre Überlebenschancen durch das Markieren besonderer Stärke zu erhöhen. Zu einer in mehrerer Hinsicht bemerkenswert klaren Feststellung fand in diesem Zusammenhang der amerikanische Literatur- und Kunstwissenschaftler William J. Thomas Mitchell, als er in einem erstmals 1996 publizierten Aufsatz sowie seiner knapp zehn Jahre später veröffentlichten Studie What Do Pictures Want? The Lives and Loves of Images konstatierte: „Was das Geschlecht der Bilder betrifft, so ist klar, dass ihre 'Standardeinstellung‘ weiblich ist“[1].
Auffallend an dieser Formulierung ist nicht allein die eindeutige geschlechtliche Zuweisung an (alle) Bilder. Ebenso sticht die Art und Weise hervor, in der diese Setzung vorgenommen und im Brustton einer offenkundig standfesten Überzeugung dargelegt wird – untermauert noch durch den wiederholenden Hinweis: „Nicht Bilder von Frauen sind hier gemeint, sondern Bilder als Frauen“[2]. Als sexistisch erweist sich die Passage daher weniger aufgrund der Wahl des Geschlechts – darüber ließe sich ja noch irgendwie streiten! –, sondern vorrangig durch die definitorische Ausschließlichkeit ihrer Formulierung – die ihrerseits jeden Einwand obsolet machen möchte. (- Abgesehen davon muss es einen progressiv gestimmten Geist verwundern, warum überhaupt eine Geschlechtszugehörigkeit mit einer 'Standardeinstellung‘ in Verbindung gebracht wird; dies allerdings zieht die nicht unerhebliche Frage nach sich, worin sich eine solche Bildtheorie dann noch von einem biologistischen Essentialismus unterscheidet.)
Entscheidend ist, dass sich der Bildanalytiker mit seiner Bestimmung der genuin weiblich codierten Bilder in die Situation bringt, einen bildtheoretisch legitimierten Chauvinismus zur Schau stellen zu können. In den Worten Mitchells klingt das so: „Die Frage nach dem, was Bilder wollen, ist daher untrennbar mit der Frage verbunden, was Frauen wollen“[3]. Reaktiviert wird also die seit Jahrhunderten stets aufs Neue wiederholte Projektion der Frau als eines an ihrer eigenen Rückständigkeit leidenden, generell nur empfangenden und daher umso ungezügelter begehrenden Wesens. Und wie bei allen Frauen, so lässt sich Mitchell paraphrasieren, richte sich auch das Wollen der Bilder auf den Mann, der zu einem dann seinerseits begehrenden Blick verführt werden möge. „Dieser Effekt“, folgert Mitchell, „ist vielleicht der deutlichste Beweis, den wir dafür haben, dass die Macht der Bilder und die der Frauen einander als Modelle dienen […] Die Macht, die sie wollen, manifestiert sich als Mangel, nicht als Besitz“[4].
In diesem Zusammenhang verweist Mitchell auf einen 1975 erstveröffentlichten Aufsatz der britischen feministischen Filmtheoretikerin Laura Mulvey. Ihren Text Visual Pleasure and Narrative Cinema bezeichnet Mitchell als „die klassische Erörterung über die Geschlechtlichkeit von Bild und Blick“[5]. Und in der Tat setzt sich Mulvey mit der Frage nach der Geschlechtlichkeit von Bildern und Blicken auseinander, um zu klären, unter welchen Umständen „die Frau als Bild“ und „der Mann als Träger des Blickes“ beschrieben werden können.[6] Allerdings bezieht sich Mulvey dabei explizit auf die affizierende Situation in einem dunklen und somit das Bild zentral präsentierenden Kinosaal während einer Vorstellung.
Und vor allem führt Mulvey konkrete Filmbeispiele, insbesondere Alfred Hitchcocks Vertigo von 1958 ins Feld, an denen sie zeigen kann, wie sich im Zuschauer durch das Moment der Einfühlung in das Handeln eines (meist) männlichen Protagonisten ein „Omnipotenz-Gefühl“ entwickeln mag, das letztlich dazu führe, dass das Filmbild selbst – zeitweise! – zu einer den Blick begehrenden Fläche erhoben werde.[7] Diese sei jedoch erst dann als weiblich konnotiert erfahrbar, sobald sich der gesamte Bildausschnitt der Präsentation einer weiblichen Darstellerin widme – wie etwa in der berühmten Szene im California Palace of the Legion of Honor, in welcher die Kameraeinstellung den Blick des männlichen Hauptdarstellers übernimmt, um die geradezu demütig John Ferrens Portrait of Carlotta Valdes betrachtende weibliche Darstellerin zunächst von hinten zu fixieren und dann durch den immer schärfer fokussierenden Bildausschnitt regelrecht in ihren Körper einzudringen.
So scheinen (!) sich dem männlichen Blick Bildobjekt und Frau „miteinander“ zu „verschmelzen“, ja es ist allein die pornografische Fokussierung auf den Frauenkörper, die ihm eine temporäre „Identifikation“ von Frau und Bild suggeriert.[8] Folglich erweist sich nicht das Bild an sich als 'weiblich', sondern allein die Regieführung und damit die Produktion des Bildes vermag gezielt die Darstellung mit dem Darstellenden – Sujet und Medium – in ein wirkungsästhetisch-geschlechtliches Gefälle zu bringen.
Umso befremdlicher wirkt es, wenn sich Mitchell in seiner pauschalisierenden Verweiblichung des Bildes auf Mulvey bezieht, um sie als vermeintliche Kronzeugin einer visuellen Geschlechterzuweisung einzuspannen. Gleichwohl mag man solche Pirouetten für männerbündlerische Altherrenwitze halten – und im Grunde sind sie das auch. Dennoch bleibt bedenkenswert, dass eine Substantialisierung von Bildern und deren animistische Aufwertung zu belebten Gestalten einem anti-liberalen Denken auf die Sprünge helfen.[9] So ist etwa bezeichnend, dass Mitchell in Bildern längst nicht nur Frauen, sondern, je nach Gusto, schlicht alle – aus seiner Sicht – irgendwie mangelbehafteten Wesen entdeckt. Was im einen Kapitel die Frauen waren, übernehmen schon im nächsten die „Migranten“, die wenig später wiederum vom „schwarzen Mann“ abgelöst werden. Deutlich wird, dass die 'Standardeinstellung‘ der Bilder nicht zwangsläufig weiblich, sondern, allgemeiner, wesenhaft-rückständig ist, stets darauf zielend, eine in westlichen Gesellschaften wie auch immer und in völlig unterschiedlichen Graden benachteiligte oder gar unterdrückte Gruppe von Menschen als ontologisch-soziale Mängelexemplare einzusetzen.
Eine solche Bildtheorie mag sich zwar noch als politische Aufklärung gerieren und mit linksliberalen Versatzstücken arbeiten. Im Kern jedoch unterwirft sie sich der Dynamik eines Identitätsdiskurses – und greift zu Argumentationen, die mit besten Absichten offensiv diskriminieren. Den Gedanken, bei Bildern könne es sich um weibliche Wesen handeln, möge man daher gerne als das einstufen, was er im Kern auch ist: Ausdruck einer esoterischen Spekulation.
[1] Mitchell; W.J.T.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, München 2008 [engl. Original Chicago 2005], 53.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 54. Vgl. dazu auch: Hornuff, Daniel: Bildwissenschaft im Widerstreit. Belting, Boehm, Bredekamp, Burda, München 2012, insbesondere 117-119.
[5] Mitchell, 235 (Fußnote 22).
[6] Mulvey, Laura: Visuelle Lust und narratives Kino, in: Weissberg, Liliane (Hg.): Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt a.M. 1994, 48-65, hier 55.
[7] Ebd., 57.
[8] Ebd., 59.
[9] Dieser Umstand ist umso verwunderlicher, als Mitchell selbst andeutet, mit Projektionen und Konstruktionen zu arbeiten – denen er sich jedoch im Verlauf seiner Studie zunehmend anverwandelt und sie letztlich theoretisch inkorporiert: „Es ist mir klar, dass sie [die Frage nach dem Wollen der Bilder; d. V.] eine Subjektivierung des Bildes, eine dubiose Personifikation unbelebter Objekte mit sich bringt, dass sie mit einer rückschrittlichen, abergläubischen Haltung gegenüber Bildern liebäugelt, einer Haltung, die uns […]in Praktiken wie Totemismus, Fetischismus, Idolatrie und Animismus zurückfallen ließe“. Mitchell, 47.