Die Kunsthochschule als Kompetenzzentrum für den Umgang mit Komplexität
aus: KUNSTZEITUNG, Juni 2016, Nr. 238, S. 5.
Über die letzten Monate zogen dunkle Wolken über der Staatlichen Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe auf – so jedenfalls die Beobachtung einiger Berichterstatter in den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen. Begriffe wie "Unruhe", "Streit", "Skandal", "abserviert" und "kaltgestellt" machten die Runde und suggerierten, eine öffentliche Institution zerreibe sich in ausufernden Flügelkämpfen. Auslöser und zugleich Angriffspunkte bildeten neben der AfD-Mitgliedschaft eines HfG-Mitarbeiters auch manche Antworten des ehemaligen Rektors Peter Sloterdijk, die er zu aktuellen Flüchtlings- und Migrationsfragen gab.
Entgegen der medialen Lesart haben sowohl sein Nachfolger im Amt, Siegfried Zielinski, als auch Professorinnen und Professoren der Hochschule besonnen reagiert. Dennoch nahmen Teile der Presse diese Nuancierungen erneut zum Anlass, eine politische Zweilagerbildung an der HfG bestätigt zu sehen – als brächen nun linksintellektuelle Reflexe auf, nachdem rechtskonservative Positionen markiert worden seien.
Doch so schematisch, wie eine mediale Hysterielust die Sache skizzieren möchte, ist diese nicht. In der öffentlich gewordenen Auseinandersetzung geht es nur vordergründig um den Streit über eine politisch angeblich gefestigte Richtung. Übergangen wird, dass die Frage nach der Zugehörigkeit zu dieser oder jener politischen Seite komplett unerheblich ist, solange die vertretenen Positionen in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz stehen (worauf wiederum Volker Albus in seiner Zeit als kommissarischer Leiter des HfG-Rektorenamtes hingewiesen hat). Ohnehin ist der Rechts-links-Antagonismus nur ein weiteres Mittel der Skandalisierung und fällt entsprechend erkenntnisarm aus.
Alles andere als unerheblich ist jedoch die Frage, welche Auffassungen von gesellschaftlichem Zusammenleben, sozialer Verantwortung und kulturellem Selbstverständnis sichtbar werden, wenn persönlichen Beiträgen eine gesellschaftspolitische Prägung verliehen wird. Dann nämlich geht es nicht mehr um rechts oder links, sondern um die viel dringlichere Frage, ob jemand die intellektuelle Agilität besitzt, ohne Rückbezug auf eine kollektive Identität zu denken – und zu handeln!
Die zugleich hochschul- und gesellschaftspolitische Brisanz dieser Frage wiederum liegt darin, dass sie in der akademischen Struktur einer Kunsthochschule verankert ist. So gehört es zur Kernaufgabe vieler Kunsthochschulen, theoretische und praktische Fächer gleichberechtigt zu lehren, ja solche Einrichtungen leben geradezu von der gleichwertigen Durchdringung von Kunst, Design und Wissenschaft. Entsprechend achtsam und neugierig schätzen deren Mitglieder die Vielfalt unterschiedlichster Artikulationsformen, Demonstrationen und Präsentationsweisen. Kunst, Design und Theorie finden unter einem Dach nur dann produktiv zusammen, solange keine der ‚Parteien‘ ein Deutungsmonopol beansprucht – und somit Abstand davon nimmt, aus der jeweils präferierten Sicht der Dinge Kriterien für das Zusammenwirken abzuleiten.
Damit jedoch sind genuin soziale und – darauf aufbauend – kulturelle Fragen angesprochen. Die interne und sich in Organisationsformen realisierende Struktur einer Kunsthochschule impliziert eine nach außen orientierte Verantwortlichkeit.
Sind Gesellschaft und Kultur weder angemessen zu beschreiben noch zu formatieren, indem sie zu homogenen Gebilden stilisiert werden, so wenig kann es Interesse einer Kunsthochschule sein, pluralistische Offenheit einzudämmen.
Jede Homogenisierung von Gemeinschaft – sei sie institutioneller oder gesellschaftlicher Natur – ist Ausdruck eines Herrschaftsgeistes. Schließlich muss es in diesem Fall eine Instanz geben, die von sich behauptet, jene Steuerungsmacht zu besitzen, mit der einer Gemeinschaft ein absolut verbindlicher Identitätskern einzupflanzen ist. Das Problem dabei: Eine solche Verordnung von Identität gelingt nur über gezielte Ausgrenzung: über die Unterscheidung in ein (zu verteidigendes) Wir und in die (als Bedrohung deklarierten) Anderen. So wird dem Wir ein tendenziell höherer Wert als den Anderen zugesprochen – was in letzter Konsequenz nichts anderes bedeutet, als die Anderen als entbehrlich zu betrachten.
Schon daran wird ersichtlich, wie wenig ein Freund-Feind-Schema mit den internen Arbeitsformen einer Kunsthochschule gemeinsam hat. Umso mehr erweisen sich Kunsthochschulen als Kompetenzzentren für ein Arbeiten unter Bedingungen einer sich stetig wandelnden Komplexität. Wer diese erhalten und sogar fördern möchte, muss sich in der Kunst eines Fahrens auf Sicht üben: Nicht wissend, welche neuen Personen, Situationen, Konstellationen und Aufgaben beim nächsten Projekt warten, wird das Ausbleiben einer kollektiven Identität als größtmöglicher sozialer Gewinn geachtet. Die Frage nach der gesellschaftlichen Rolle einer Kunsthochschule ist von ihrer eigenen institutionellen Bedingung nicht zu trennen. Welch ein Glück!