Daniel Hornuff

© Felix Grünschloß

Smarthistory

Daniel Hornuff über Kunst auf YouTube und den Weltgeist im Leinwandriss

aus: KUNSTZEITUNG, März 2018, Nr. 259, S. 12

 

 

 

 

 

Nein, der Titel dieses Beitrags stammt nicht von mir. Erst ist abgekupfert worden bei einem gleichnamigen YouTube-Kanal, der, gegründet und betrieben von den Kunstwissenschaftlern Beth Harris und Steven Zucker, einführende Kurzlehrstücke zur Themen- und Epochengeschichte der Kunst gibt. Mag man den Kanal zunächst für eine lapidare Hobbyspielerei halten, wird rasch deutlich, dass Smarthistory weit mehr leistet. Das weltweit verankerte, über 200 Kunst- und KulturwissenschaftlerInnen umfassende Netzwerk produziert in regelmäßigen Abständen rund fünf minütige Videos, die von jeweils mehreren zehntausend InteressentInnen verfolgt werden. In meist dialogisch ausgeführter Form geht es darum, spezifische Stilmittel (etwa perspektivische Verkürzungen oder das Chiaroscuro), einzelne Werke oder auch größere Werk- bzw. Themenzusammenhänge ebenso pointiert wie anschaulich in ihren jeweils charakteristischen Merkmalen darzustellen.

 

Hinzu kommt die Kooperation des Kanals mit einigen der bedeutendsten Kunstinstitutionen. So ist nicht nur auf deren jeweilige Archivbestände zurückzugreifen und folglich auch unbekannteren Werken wie Personen Sichtbarkeit zu verschaffen; ebenso wird recht ein klares Kenntnisziel angestrebt, indem die einzelnen Themenvideos so ausgewählt sind, dass deren Hauptinformationen mit einigen universitären Lehr- und Prüfungsplänen interferieren, sich also gezielt auch an Studierende richten. Durch die gesprächsartigen Situationen erscheinen die Themen als weniger Top-down, kaum einmal autoritär vermittelt. In Einzelfällen deuten sich sogar regelrechte Thesen-Kontroversen an, was wiederum das jeweilige Nachdenken über Interpretationsmöglichkeiten beflügeln mag. Diese finden sich denn auch in den Kommentarspalten tausendfach und in erstaunlicher Ernsthaftigkeit dokumentiert wieder. Das Non-Profit-Projekt Smarthistory erscheint als ausdifferenzierte Bewegbildplattform zur Erlangung erster eigenständiger, durchaus kritischer Kunstkenntnisse.

 

Doch ist Smarthistory freilich bei weitem nicht das einzige YouTube-Angebot, das sich der Ästhetischen Praxis im Allgemeinen und der Bildenden Kunst im Speziellen widmet. Gerade weil die Videoplattform in besonderer Weise auf das gesellschaftliche Klima einer allzeit verfügbar erscheinenden und ebenso oft geforderten Kreativität – auf ein „Kreativitätsdispositiv“ (Andreas Reckwitz) – reagiert, erlangt das Flair bildkünstlerischer Äußerungen besondere Attraktivität. Es zirkulieren zehntausende Videos, die einzig dem Prinzip folgen, vorwiegend romantisch gestimmte Landschaftsdarstellungen mit den Klangwerken der europäischen Hochklassik zu kombinieren. Millionen Nutzer verschaffen sich mit solchen Stimmungsvideos den esoterisch unterfütterten Eindruck bildungsbürgerlicher Entspannungsreisen – und erleben sich, wie erneut den Kommentaren zu entnehmen ist, als qualitativ potenzierte Alltagskreative.

 

So banal diese zusammengefrickelten, oft schwül-pathetischen Atmosphärenstücke wirken, so klar bringen sie doch zur Anschauung, in welcher Weise sich auf YouTube diffuse Kunsthoffnungen mit modernetypischen Leistungserwartungen verquicken. Beste Beispiele dafür sind Videos, in denen mehr oder weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler Einblicke in ihre Ateliers geben, sich beim (meist besonders gestisch-exaltierten) Anfertigen des neuen Werks beobachten lassen oder, serviceorientierter, Tipps und Hilfestellung für andere Kunstgewillte verabreichen. Es entstehen Auftritte und Inszenierungen, die in Habitus und Stilistik entfernt an die Selbstverständnisse der Avantgarde-Bewegungen erinnern und sich gerade damit als eingenommen von essentialistischen Kunstbegriffen verraten. Jeder Pinselstrich gerät zur Selbstentäußerungstat, und geht mal etwas schief – fallen Leinwand oder Eimer um –, erkennt der florierende Kunstmystizismus den Wink des Schicksals: Schöner, treffender, ergreifender als mit diesem Missgeschick hätte man es selbst gar nicht hinbekommen! Im Klecks offenbart sich das radikal Neue, und durch den scheinbar fatalen Riss in der Leinwand lächelt einem der Weltgeist entgegen.

 

Umso mehr aber folgen solch kunstangehauchte Videos einem impliziten ökonomischen Imperativ. Indem Kunst als das generell Andere – als übersteigende Ausnahme und als letzte Unergründlichkeit – heraufbeschworen wird, gewinnen Kategorien wie Effizienz, Rationalität, strategisches Handelnd, kulminierend im Wert des Erfolgs, normativen Charakter: Hier mein kapitalistisch entfremdeter Alltag – dort die Re-Identifikation mit mir selbst durch Kunstartiges.

 

Wer das Dispositiv der Kreativität als Quelle eines gesellschaftlichen Stresses ausmacht, der dürfte die ebenso engagierte wie feine Nüchternheit der Smarthistory als diskursive Wohltat erleben - wenngleich auch sie nicht davor gefeit ist, einem einseitig orientierten Bild(ungs)begriff durch vorwiegend im Westen rekrutierte Kunstphänomene Vorschub zu leisten.