aus: Lius Junker, Manuel Cistof, Alexander Theis (Hrsg.): Tuning Life. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung und Vordiplomprüfung an der HfG Karlsruhe, 2018, S. 139f.
Wie leicht fällt es selbst gebildeten Menschen, die Tuning-Szene unter generellen Verdacht zu stellen. Obwohl die allermeisten wohl über keine genauen Einblicke und konkreten Erkenntnisse verfügen dürften, werden deren Akteure überraschend einmütig als hirnlose Raser mit akuter Neigung zum proletenhaften Verhalten eingestuft. Im Grunde hält man die Tuning-Szene für einen Haufen ebenso aufgemotzter wie aufmotzender Vollidioten.
Ein solches Wertungsschema ist freilich kaum verwunderlich. Gerade die klassischen Massenmedien richten ihren Fokus meist nur dann auf das Phänomen des Tunings, wenn es größere Katastrophen zu vermelden gibt. Begriffe wie "Todesraser" oder "illegale Autorennen" werden geradezu als Synonyme für das Auto-Tuning gebraucht. Insgesamt entsteht so der der Eindruck, als diene das veredelnde Umbauen eines Autos allein dem Zwecke, auf öffentlichen Straßen "Gegner" ausmachen zu können, um diese in spontanen oder verabredeten Geschwindigkeitswettkämpfen zu überbieten – und dabei das Leben anderer zu riskieren. Entsprechend wird von größeren Szene-Treffs meist nur dann berichtet, wenn es zu umfassenden Verstößen gegen gesetzliche Bestimmungen kommt. Regelmäßige Reportagen über breitangelegte polizeiliche Kontrollaktionen stützen das Bild einer im Kern gesetzeswidrig agierenden Szene, die es einzudämmen und am liebsten komplett zu verbieten gilt.
Hat also die öffentliche Wahrnehmung eine eher hysterische Faszination für die – zweifellos vorhandenen! – illegalen Tendenzen der Tuning-Szene entwickelt, bleibt erst recht unberücksichtigt, welche sonstigen Erzeugnisse diese Szene hervorbringt. Wollte man die Sache distanzierter betrachten, wäre zunächst einmal wichtig, dass es sich hierbei um soziologisch recht klar definierbare Gruppen von Menschen handelt. Das sie jeweils verbindende Interesse bezieht sich auf die stil- und leistungssteigernde Arbeit am je eigenen Auto. Dieses wird als eine Art ästhetisches Superobjekt veranschlagt und mit höchstem (persönlichen, finanziellen, zeitlichen, sozialen) Einsatz nach vorab definierten Design-Regeln ausgestaltet.
Und bereits damit wird die Sache theoretisch vielschichtiger. Denn ganz offenkundig gestalten die einzelnen Tuner ihre Wägen nach ästhetischen Prinzipien, die sie sich einerseits (in der Regel nach persönlichen Vorlieben) selbst bestimmen, die andererseits aber auch die Codes der Szene zu bedienen haben. So ist es beispielsweise erforderlich, wesentliche Stilmerkmale wie Kotflügelausbau oder Unterbodenbeleuchtungen zu integrieren, diese aber dennoch mit je eigenen Interpretationen anzureichern. Ästhetische Konformität soll unter allen Umständen vermieden werden – und dennoch wird darauf geachtet, einen gemeinsamen ästhetischen Nenner definieren zu können. So soll es möglich sein, dass im Rahmen der herrschenden Community-Prinzipien individuelle Entwürfe Geltung beanspruchen können.
Entscheidet ist also, dass es nicht darum geht, völlig neue Automodelle in die Welt zu setzen. Stattdessen werden Serienmodelle als Baugrundlage herangezogen, auf deren Basis eine durchaus unverhohlene, ästhetische Megalomanisierung angestrebt wird. Im Verlauf des Um- und Ausbaus kann es zwar durchaus dazu kommen, dass das ursprüngliche Serienmodell in seinen zentralen Erkennungsmerkmalen zum Verschwinden gebracht wird und somit – für den Laien – nicht mehr als dieses oder jenes Modell ersichtlich ist. Gleichfalls bleiben für (Szene-)Kenner die Modelle dechiffrierbar, was wiederum insofern nicht unerheblich ist, als sich innerhalb der Tuning-Szene einzelne Sub-Bewegungen herauskristallisieren, die sich entweder über spezifische Marken oder sogar einzelne Modelltypen konstituieren.
Nicht zuletzt fällt eine erstaunliche Beharrlichkeit in der Ausgestaltung der Details ins Auge. Tatsächlich ist ein Gradmesser des automobilen Veredelungsehrgeizes in der Behandlungssorgfalt gegenüber Einzel(bau)teilen zu finden. Besonders nachvollziehbar wird dieser Umstand an der Art und Weise, wie die Felgen der Wägen in Szene gesetzt werden, ganz so, als handele sich um rein ästhetische Objekte ohne jegliche Gebrauchsfunktion: Das Verchromen und Polieren, die effektvolle Kombination mit ergänzenden oder umgebenden Materialien und nicht zuletzt die formale Abstimmung der Felgengestalt mit der Gesamtkomposition des Wagens entscheiden über die ästhetische Potenz der Tuners. Von einem rein dumpfen Aufmotzen kann hier keine Rede mehr sein, im Gegenteil: Ausagiert wird ein geradezu devotes Verhältnis gegenüber der Makellosigkeit des Materials. Eine Ästhetik der Virginität überzieht die Autos, sie wirken, als seien sie von einem imaginären Berühr- und sogar Fahrverbot belegt.
Vor diesem Hintergrund erscheint das Tuning als eine sozial segmentierte, gleichsam ästhetisch wie technisch ausdifferenzierte Kulturtechnik. Dass es dabei zu (rechtlichen) Grenzüberschreitungen kommt, dass ein unverstellt männerbündlerisches, geradewegs mittelalterliches Geschlechterbild die Szene dominiert, dass mitunter schlimmste Folgen aus der amourösen Beziehung zum Automobil erwachsen – dies alles sollte nicht dazu führen, pauschal eine gesamte Community sozial abzuwerten. Im Gegenteil: Erst wer sich die Mühe macht, die Szene aus ihrer eigenen Logik heraus zu verstehen – wer also bereit ist, sich dem Tuning feldforschend zu nähern und deren Schraubermentalität als ein Designhalndeln in den Blick nimmt –, bringt sich in die Lage, sie differenziert gewichten zu können. Und erst dann ist es möglich, das Tunen als Bestandteil einer Kultur einzuordnen, die im ästhetischen Ausdruck eine wesentliche Möglichkeit der Selbstidentifikation erkennt.
Wer das Tunen als gleichsam verblödeten wie kriminalisierenden Akt einordnet, sollte sich fragen, auf welchen Feldern er selbst den Prinzipien des Tunings folgt. Denn dies scheint bei aller Ablehnung offenkundig: Der Drang zur Ausweitung des Gegebenen ist längst nicht nur auf das Auto beschränkt. Er ist, in der westlichen Moderne zumal, ein kapitalistisches Imperativ. Kritik daran sollte aber nicht bedeuten, dem Reflex zur pauschalen Abwertung zu folgen.